Waffen gegen die Unterwerfung. Zum Tod des Antifaschisten Hans Heisel – Von Mathias Meyers
Im Sommer 1942 hatte der deutsche Faschismus fast ganz Europa unter Kontrolle. Die Blitzkriege und -siege hatten die Wehrmacht in die meisten europäischen Hauptstädte geführt. Der antifaschistische Widerstand in Deutschland und in Europa war infolge von Verhaftungen und schweren Verlusten enorm unter Druck, eine Wende des Krieges war nicht absehbar – die Rote Armee war noch in der Defensive, die Schlacht von Stalingrad, die erste strategische Niederlage des Faschismus war noch nicht geschlagen.
Seit 1940 war auch Paris besetzt. Viele deutsche Emigranten schlossen sich der französischen Widerstandsbewegung Résistance an. Deutsche Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen kämpften in diesem historischen Bündnis unter täglichem Einsatz ihres Lebens gemeinsam mit französischen Patrioten gegen die Besatzung und für den Sturz des Hitlerregimes. Peter Gingold erzählt in seinen Lebenserinnerungen »Paris Boulevard St. Martin No. 11« ( Köln, 2009), daß er in dieser Zeit ein Treffen mit seinem Instrukteur, dem Leiter der KPD in Frankreich, Otto Niebergall, hatte. Sie diskutierten über die Lage in Europa. Peter Gingold war ratlos, wie sollte man in dieser Situation noch eine Vorstellung vom möglichen Sieg über den Faschismus behalten können? Otto Niebergall lehrte ihn, auch wenn die Unterwerfung zurzeit umfassend sei, die Völker Europas würden dies auf Dauer nicht hinnehmen, es werde zu Aufständen kommen, die Rote Armee würde an der Ostfront bald erste militärische Siege erringen, der Widerstand werde unweigerlich zunehmen. Gingold erschien diese optimistische Rede zu diesem Zeitpunkt so, als würde man, am Rande des Meeres stehend versuchen, den Wellen Einhalt zu gebieten.
Im Sommer 1942 trat der 20jährige, aus einfachen Verhältnissen in Leverkusen stammende Fernschreibobermaat Hans Heisel in Paris in die illegale KPD ein. Anfang 1939 hatte sich Heisel, »um der Trostlosigkeit seines Milieus zu entkommen«, freiwillig zur Handelsmarine gemeldet, wurde aber zu Beginn des Krieges statt dessen zur Kriegsmarine eingezogen und im Marineministerium in Paris stationiert. »In Paris zu sein war für mich eine aufregende Erfahrung. Paris ist eine herrliche Stadt, die wir in Gruppen uniformiert durchstreiften. Ich stellte keine Fragen nach dem Grund unserer Anwesenheit. Der Wein war gut und die Mädchen waren schön«, erzählte er 2009 dem französischen Historiker Claude Collin.
Die ersten Franzosen, die er kennenlernte, waren ein Friseur und ein Schneider. Beide gehörten, was Heisel zunächst nicht wußte, der Résistance an und zeigten sich interessiert, in den Gesprächen Informationen über Stimmung und Aktivitäten in der Besatzerarmee von dem jungen deutschen Soldaten zu erhalten. Ihre Fragen veranlaßten Hans Heisel zum gründlichen Nachdenken. Nachdem Vertrauen zueinander hergestellt war, luden die beiden Franzosen ihre deutschen Genossen ein, an einer Diskussion »teilzunehmen«. So kam es, daß bald Otto Niebergall unerkannt im Nebenzimmer saß, wenn Hans Heisel mit seinen neuen Freunden politisch diskutierte. Die Gespräche führten zu dem bedeutendsten Entschluß seines Lebens. Er erlangte mit aller Konsequenz die Erkenntnis, daß das Hitlerregime »eine staatlich organisierte Verbrecherbande« war, und er entschloß sich, die Seiten zu wechseln.
Mit größter Vorsicht gelang es ihm, in seiner Einheit kritisch eingestellte Soldaten zu finden und ebenfalls für die Résistance zu gewinnen. Es waren Arthur Eberhard und Kurt Hälker, mit denen er eine antifaschistische Zelle im Marineministerium bildete. Sie hinterließen heimlich Flugblätter an Soldatentreffpunkten, stahlen Waffen für den Widerstand und gaben ein Drittel ihres Wehrsoldes für die oft unter miserablen Bedingungen illegal lebenden deutschen Kommunisten. Sie trafen sich regelmäßig mit »Marie«, ihrer Verbindungsfrau der Résistance, lieferten ihr Informationen und geheime Unterlagen aus der Wehrmacht. Bei einem Treffen im September 1943 äußerte »Marie«, noch am gleichen Tag eine Waffe zu benötigen. Mangels anderer Möglichkeiten gab Hans Heisel ihr seine Dienstpistole. Jahre später erfuhr er, daß damit der General und SS-Standartenführer Julius Ritter, der verantwortliche Organisator der ersten großen Deportation der Pariser Juden in die Vernichtungslager, von der Résistance getötet worden war.
Im Herbst 1943 war Heisel Mitbegründer und wenig später Vizepräsident der »Bewegung Freies Deutschland für den Westen« (CALPO). Mit Hälker und Eberhard beteiligte er sich am Aufstand zur Befreiung von Paris. In der Einheit des legendären Colonel Fabien war er danach u.a. dazu eingeteilt, eingekesselte deutsche Soldaten über Lautsprecher zur Kapitulation zu bewegen.
Nach der Befreiung vom Faschismus kehrte Hans Heisel nach Leverkusen zurück, fand Arbeit in den Bayerwerken, wo er vor dem Krieg seine Laborantenlehre absolviert hatte. Später war er Metallarbeiter in Düsseldorf und dann hauptamtlicher Funktionär der KPD. Als seine Partei 1956 verboten wurde, setzte er seine politische Arbeit illegal fort. 1959 wurde er verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt. 1968 war er an der Konstituierung der DKP beteiligt und blieb für sie hauptamtlich tätig.
In der BRD wurde er, wenn er von seinem Kampf gegen den Faschismus erzählte, lange als Vaterlandsverräter beschimpft. In Frankreich wurden Hans Heisel und die anderen Deutschen in der Résistance geehrt und ausgezeichnet. Der französische Staat zahlte ihm eine kleine Ehrenrente.
Erst in seinen letzten Lebensjahren entschied Hans Heisel sich, als Zeitzeuge auf antifaschistischen Veranstaltungen und in Schulklassen aufzutreten und lebhaft davon zu erzählen, wie seine Freunde und Genossen »in der Résistance aus ihm einen anderen Menschen gemacht« haben. Er erhielt viel positive Resonanz durch seine politische Klarheit und seinen Charme. So lange seine Gesundheit es erlaubte, trat er mit Leidenschaft auf. Zuletzt diskutierte er im Januar in Limburg mit 600 Schülern, die ihn nach der Veranstaltung mit Begeisterung lange umlagerten.
Im April erkrankte Hans Heisel. Begleitet von seiner Lebensgefährtin, seiner Familie und Freunden starb er am 12. Juli in Frankfurt am Main.